Nachrichten
02.10.2020
„Visages/Frontières“ und „Ici le temps s´arrête" in Lüttich
Neues Trinkhall-Museum thematisiert die Ausdruckskraft fragiler WeltenLiège. Statt wie geplant im März - wir berichteten - ist das neue wallonische Outsider Art-Zentrum Trinkhall (Foto: Carl Havelange, künstlerischer Direktor. September 2020 in seinem neuen Haus) erst am 18. Juni (und in einem zweiten Teil am 11. September) 2020 unter Pandemieauflagen fürs Publikum eröffnet worden. Die erste Jahresausstellung „Visages/Frontières“ (Gesichter/Grenzen) bestach durch hochkarätige Werkeauswahl und eine versierte Präsentation, adäquat eingebettet in die helle Architektur des Hauses mit zwei Ausstellungsetagen, einem Kabinettraum und dem nach außen gelagerten pilzförmigen Gebäudeteil. 80 spannende Arbeiten bekannter und weniger bekannter Namen der Außenseiterkunst, mehrheitlich aus Belgien (die meisten aus den CRÉAHM-Ateliers Liège und Brüssel und dem La ‚S‘-Atelier Vielsalm, für KünstlerInnen mit mentalen und psycho-sozialen Handicaps), aber auch aus England, USA, Italien, Frankreich und Australien waren zur „Face to Face“-Kommunikation mit dem Betrachter versammelt. Einbezogen waren zudem ein Dubuffet sowie ein Selbstportrait von Rembrandt.
DIE ZEIT STEHT STILL IN DER PSYCHIATRIE
Ebenso mit Verzug begonnen hatte die erste Ausstellung des Trinkhall an anderem Spielort in Liège: „Hier steht die Zeit still“ hieß die September zu sehende Präsentation von Hélène Tilman im Maison Renaissance - ein ehemaliges Klostergebäude - der Société libre d’Émulation asbl (Leiterin: Anne-Françoise Lemaire).
Tilman (Paris) thematisiert beherzt die Grenzen der Gesellschaft und schaut auf Parallelwelten. Nach Arbeiten zu städtischen Vororten und deren Bewohnern hat sie sich der Krankenhauswelt zugewendet, insbesondere der der Psychiatrie. Ihr jetziges Kunstprojekt wurde 2013 in der psychiatrischen Klinik Vauclaire (heute Centre Hospitalier Vauclaire, vgl. www.ch-montpon.fr/) in der Dordogne gestartet. Die Pavillons des Krankenhauses wurden ab 1919 um eine Kartause aus dem 14. Jahrhundert errichtet. Was früher Irrenhaus war, ist heute moderner Klinikbetrieb. Ein Jahrhundert Psychiatrie hallt durch die Mauern.
H.T.: „Dort fotografiere ich die Komplexität des Ortes, die Patienten, ihre schmerzhaften, halluzinierten oder ausgestorbenen Blicke, die Spuren ihrer Krankheit, ihre Narben. Ich denke an die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit dieser Krankheiten, die Schwierigkeit dessen, was wir nicht sehen können. Was wir zeigen können, was uns beschämt: die Behandlungen, die Internierung. Die Grenzen sind fragil“. In ihrer Fotopräsentation zieht sie sich künstlerisch zurück, um „verlorenes“ Leben respektvoll zu dokumentieren. Daher hat sie sich für Farb- statt Schwarz-Weiß-Aufnahmen (bis auf einige wenige Aufnahmen von Bäumen im Klinikpark) entschieden. Um trotz, oder gerade wegen der scheinbaren Stummheit und Leblosigkeit das Leben und die Würde der dort meist langfristig „untergebrachten“ Menschen zu verdeutlichen. Viele der PatientInnen dort kennen fast nur diesen Ort. Die Zeit steht still.
HÄNDE STATT GESICHTER
Emotionale Biografie findet Tilman motivisch vor allem in Händen und Füßen der Psychiatrieerfahrenen der Klinik Vauclaire, die sie behutsam für die Ausstellung vor die Linse nehmen konnte. Auch wenn das Gesicht das Persönlichste des menschlichen ‚Außen‘ ist, verbietet es sich für sie, verzerrte, entstellte Gesichter als Ergebnis seelischer Lebens-Erschütterungen, von Erkrankung wie auch durch Psychiatrie erzeugt (z.B. durch Neuroleptika) zu zeigen. Die gewählten Nahaufnahmen zeigten Betroffene, - machen den Betrachter betroffen, aber nicht traurig oder mitleidig. Menschliche Nähe, Augenhöhe und Respekt werden vermittelt und eingefordert.
Eine Vitrine dokumentierte ein spontanes Aktionsprojekt eines Krankenhausinternierten: Regelmäßig zieht ein Dauerpatient stumm seine blaue Mütze aus und legt ein Stück Papier mit wechselnden Texten darauf: Hinweis und Protest zum persönlichen Status Quo. Den Abschluss der Ausstellung bildete eine Gipsskulpturen-Installation (Foto) im abgedunkelten Turmzimmer des Maison. Tilman schlüpft mit Abgüssen ihrer Hände in die der Portraitierten: Entspannung, Aggression, Gleichmut usf. sind zu erkennen. Sind’s nicht normale Ur-Gefühle?
• Société libre d´Émulation asbl. Maison Renaissance, Rue Charles Magnette 9, B-4000 Lüttich. Tel. +32 (0) 4 223 6019. www.emulation-liege.be
DER KÜNSTLER ALS FREIBEUTER
Die Thematik Zerbrechlichkeit gehört zentral zum Konzept des Trinkhall-Museum. Am Ort einer ehemaligen bürgerlichen Kurhalle (aus 1880) ist seit 2015 im Lütticher Avroy-Stadtpark ein zeitgemäßes Outsider Art-Zentrum entstanden. Aus dem alten MADmusée (Musée de la Art Différencié) wurde Trinkhall. Im Eingang begrüßt uns heute die Schiffs-Plastik „Le musée idéal“. Ein Werk des ortsansässigen Créahm-Künstlers Alain Meert. Meert beantwortete die an ihn gestellte Frage „Was ist ein Museum?“ mit dieser Arche. Mit Kunst und Künstlern als Kapitäne oder gar Piraten?
• Trinkhall Museum. Parc d´Avroy, B-4000 Lüttich. Tel. +32 (0) 4 222 32 95
© Text und Foto: Gangolf Peitz, 2020
www.trinkhall.museum DIE ZEIT STEHT STILL IN DER PSYCHIATRIE
Ebenso mit Verzug begonnen hatte die erste Ausstellung des Trinkhall an anderem Spielort in Liège: „Hier steht die Zeit still“ hieß die September zu sehende Präsentation von Hélène Tilman im Maison Renaissance - ein ehemaliges Klostergebäude - der Société libre d’Émulation asbl (Leiterin: Anne-Françoise Lemaire).
Tilman (Paris) thematisiert beherzt die Grenzen der Gesellschaft und schaut auf Parallelwelten. Nach Arbeiten zu städtischen Vororten und deren Bewohnern hat sie sich der Krankenhauswelt zugewendet, insbesondere der der Psychiatrie. Ihr jetziges Kunstprojekt wurde 2013 in der psychiatrischen Klinik Vauclaire (heute Centre Hospitalier Vauclaire, vgl. www.ch-montpon.fr/) in der Dordogne gestartet. Die Pavillons des Krankenhauses wurden ab 1919 um eine Kartause aus dem 14. Jahrhundert errichtet. Was früher Irrenhaus war, ist heute moderner Klinikbetrieb. Ein Jahrhundert Psychiatrie hallt durch die Mauern.
H.T.: „Dort fotografiere ich die Komplexität des Ortes, die Patienten, ihre schmerzhaften, halluzinierten oder ausgestorbenen Blicke, die Spuren ihrer Krankheit, ihre Narben. Ich denke an die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit dieser Krankheiten, die Schwierigkeit dessen, was wir nicht sehen können. Was wir zeigen können, was uns beschämt: die Behandlungen, die Internierung. Die Grenzen sind fragil“. In ihrer Fotopräsentation zieht sie sich künstlerisch zurück, um „verlorenes“ Leben respektvoll zu dokumentieren. Daher hat sie sich für Farb- statt Schwarz-Weiß-Aufnahmen (bis auf einige wenige Aufnahmen von Bäumen im Klinikpark) entschieden. Um trotz, oder gerade wegen der scheinbaren Stummheit und Leblosigkeit das Leben und die Würde der dort meist langfristig „untergebrachten“ Menschen zu verdeutlichen. Viele der PatientInnen dort kennen fast nur diesen Ort. Die Zeit steht still.
HÄNDE STATT GESICHTER
Emotionale Biografie findet Tilman motivisch vor allem in Händen und Füßen der Psychiatrieerfahrenen der Klinik Vauclaire, die sie behutsam für die Ausstellung vor die Linse nehmen konnte. Auch wenn das Gesicht das Persönlichste des menschlichen ‚Außen‘ ist, verbietet es sich für sie, verzerrte, entstellte Gesichter als Ergebnis seelischer Lebens-Erschütterungen, von Erkrankung wie auch durch Psychiatrie erzeugt (z.B. durch Neuroleptika) zu zeigen. Die gewählten Nahaufnahmen zeigten Betroffene, - machen den Betrachter betroffen, aber nicht traurig oder mitleidig. Menschliche Nähe, Augenhöhe und Respekt werden vermittelt und eingefordert.
Eine Vitrine dokumentierte ein spontanes Aktionsprojekt eines Krankenhausinternierten: Regelmäßig zieht ein Dauerpatient stumm seine blaue Mütze aus und legt ein Stück Papier mit wechselnden Texten darauf: Hinweis und Protest zum persönlichen Status Quo. Den Abschluss der Ausstellung bildete eine Gipsskulpturen-Installation (Foto) im abgedunkelten Turmzimmer des Maison. Tilman schlüpft mit Abgüssen ihrer Hände in die der Portraitierten: Entspannung, Aggression, Gleichmut usf. sind zu erkennen. Sind’s nicht normale Ur-Gefühle?
• Société libre d´Émulation asbl. Maison Renaissance, Rue Charles Magnette 9, B-4000 Lüttich. Tel. +32 (0) 4 223 6019. www.emulation-liege.be
DER KÜNSTLER ALS FREIBEUTER
Die Thematik Zerbrechlichkeit gehört zentral zum Konzept des Trinkhall-Museum. Am Ort einer ehemaligen bürgerlichen Kurhalle (aus 1880) ist seit 2015 im Lütticher Avroy-Stadtpark ein zeitgemäßes Outsider Art-Zentrum entstanden. Aus dem alten MADmusée (Musée de la Art Différencié) wurde Trinkhall. Im Eingang begrüßt uns heute die Schiffs-Plastik „Le musée idéal“. Ein Werk des ortsansässigen Créahm-Künstlers Alain Meert. Meert beantwortete die an ihn gestellte Frage „Was ist ein Museum?“ mit dieser Arche. Mit Kunst und Künstlern als Kapitäne oder gar Piraten?
• Trinkhall Museum. Parc d´Avroy, B-4000 Lüttich. Tel. +32 (0) 4 222 32 95
© Text und Foto: Gangolf Peitz, 2020
01.10.2020
SeelenLaute-Literaturpreis 2020-Verleihung in Saarbrücken
Kleine Preisverleihungsfeier mit Autorenlesung am 12.9. im Café JedermanSaarbrücken. Sich von der Seele schreiben hilft! Das weiß auch die saarländische Selbsthilfe für seelische Gesundheit und hatte 2020 einen ersten Schreibwettbewerb ausgeschrieben. Das von der DAK Saarbrücken - die obligatorische Förderabrechnungsveröffentlichung ist hier als PDF-Anhang bis 31.12.2020 im Netz - geförderte regionale Sonderprojekt wurde im Corona-Lockdown gestartet, um Menschen mit psycho-sozialen Beeinträchtigungen ein aktives Angebot in der Pandemiezeit zu machen. Von der Fachjury (Dr. Susanne Konrad, Literaturwissenschaftlerin, Frankfurt a.M. und Wolfgang Loskant, Bibliotheksmitarbeiter i.R., Saarbrücken) wurde schließlich Jan Michaelis (Düsseldorf) als Gewinner ermittelt.
Der Siegertext wurde in der SeelenLaute-Selbsthilfezeitung 45 veröffentlicht. Die Prämie, ein 250€-Büchergutschein, wurde in einer kleinen Feier am 12. September im Café Jederman in Saarbrücken überreicht. Hier las der Autor in Premiere seinen Gewinnertext “Was mir hilft, ist Briefeaustragen”. Gangolf Peitz vom Büro für Kultur- und Sozialarbeit Saar sprach die Laudatio. Jan machte in frühen Jahren in Saarbrücken bei der Post eine Ausbildung und ist den letzten Jahren mit Lesungen und als Referent auch in der Saar-Mosel-Region unterwegs. Der gelernte Buchhändler ist heute freier Schriftsteller, Journalist, Cartoonist und Selbsthilfeaktiver.
Selbsthilfemedien und Lokalpresse (u.a. Wochenspiegel Saarbrücken, KISS-Website, art-transmiter.de) hatten berichtet. Dank gilt dem Saarbrücker Café Jederman e.V. für die unkomplizierte Bereitstellung der Café-Räumlichkeit im gültigen Covid-19-Schutzkonzept. Unterstützung in der Bewerbung und Organisation gab es von der Medienstelle der Europäischen Gesellschaft zur Förderung von Kunst und Kultur in der Psychiatrie e.V. (Dortmund). Wegen der guten Akzeptanz und Resonanz will Veranstalter Selbsthilfe SeelenLaute Saar den Literaturpreis und einen gesundheitsbezogenen Schreibkurs in 2021 mit neuem Schwerpunktthema fortsetzen.
- Foto: G. Peitz -
PDF wie oben erwähnt,
Der Siegertext wurde in der SeelenLaute-Selbsthilfezeitung 45 veröffentlicht. Die Prämie, ein 250€-Büchergutschein, wurde in einer kleinen Feier am 12. September im Café Jederman in Saarbrücken überreicht. Hier las der Autor in Premiere seinen Gewinnertext “Was mir hilft, ist Briefeaustragen”. Gangolf Peitz vom Büro für Kultur- und Sozialarbeit Saar sprach die Laudatio. Jan machte in frühen Jahren in Saarbrücken bei der Post eine Ausbildung und ist den letzten Jahren mit Lesungen und als Referent auch in der Saar-Mosel-Region unterwegs. Der gelernte Buchhändler ist heute freier Schriftsteller, Journalist, Cartoonist und Selbsthilfeaktiver.
Selbsthilfemedien und Lokalpresse (u.a. Wochenspiegel Saarbrücken, KISS-Website, art-transmiter.de) hatten berichtet. Dank gilt dem Saarbrücker Café Jederman e.V. für die unkomplizierte Bereitstellung der Café-Räumlichkeit im gültigen Covid-19-Schutzkonzept. Unterstützung in der Bewerbung und Organisation gab es von der Medienstelle der Europäischen Gesellschaft zur Förderung von Kunst und Kultur in der Psychiatrie e.V. (Dortmund). Wegen der guten Akzeptanz und Resonanz will Veranstalter Selbsthilfe SeelenLaute Saar den Literaturpreis und einen gesundheitsbezogenen Schreibkurs in 2021 mit neuem Schwerpunktthema fortsetzen.
- Foto: G. Peitz -
PDF wie oben erwähnt,