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Auf der Adamant – Die Unnachgiebige(n)
25.10.2024
Auf der Adamant – Die Unnachgiebige(n)
Pariser Tagesklinik-Schiff über prämierten Dokumentarfilm bekannt geworden
Das elegant anmutende, nachhaltig aus Holz erbaute Schiff liegt in der französischen Kapitale am Quai de la Rapée, am rechten Seine-Ufer unweit vom Gare de Lyon (und vis-à-vis Gare de Austerlitz) schräg unter der Charles de Gaulle-Brücke fest vor Anker. Es ist ein Tageszentrum zu Wasser und gehört zu einem psychiatrischen Verbund in Paris, der auch zwei Centres Médicaux Psychologiques (psychologisch-medizinische Zentren), ein aufsuchendes mobiles Team und zwei Abteilungen des psychiatrischen Krankenhauses Esquirol (angegliedert dem Klinikkomplex Saint-Maurice) betreibt.

Die Adamant misst als schwimmendes Holzgebäude 650 qm an Fläche und ist mit großen, zum Fluss hin offenen Fenstern versehen. Bewusst haben die Architekten von Seine Design beim Entwurf das Betreuungspersonal und die Nutzer (= Menschen mit psychosozialen Erschwernissen, aus den ersten vier Arrondissements der Hauptstadt) für diese hier 2020 eröffnete, besondere therapeutische Einrichtung einbezogen. Die Nutzung durch die Betroffenen ist täglich, wie auch unregelmäßig möglich. Die Menschen sind jung bis alt und kommen aus allen sozialen und Bildungsschichten. An Bord beginnt der Tag mit einem gemeinsamen Frühstück. Montags ist Vollversammlung und das vielfältige Wochenprogramm reicht von Terminen mit Nähen, Musizieren, Literatur, der Herausgabe einer Zeitung, einem Filmclub, über Malen und Zeichnen, Schachspiel, Textilarbeiten oder Marmeladenherstellung, bis zu externen Aktivitäten wie dem Besuch eines Konzertes, Theaterstücks, einer Ausstellung oder eines Spaziergangs in der Natur. Ein Café ist installiert und Gäste sind erlaubt. Für Workshops werden gerne Kulturschaffende von außerhalb eingeladen. Als festes Hilfeteam stehen Krankenpfleger*innen, Psycholog*innen, Ergotherapeut*innen, ein Psychiater, Sekretariats- und Krankenhausbedienstete zur Verfügung. Die Devise fürs Schiff lautet, es „gemeinsam zu schaffen“. Alle sollen sich auf der Adamant einbringen können.

Im Oktober 2024 besuchte ein SeelenLaute-Selbsthilfevertreter aus dem Saarland dieses französische Modell eines centre de jour, um darüber Interessierten auf dem Püttlinger Gesundheitstag am 3. November am Selbsthilfe SeelenLaute-Stand aktuelle Auskünfte aus erster Hand geben und das Thema Tagesklinik/Tageszentrum ländervergleichend diskutieren zu können. Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten z.B. mit Tageszentren in Merzig oder Saarbrücken? Die Reisekosten der Fahrt nach Frankreich konnten aus Selbsthilfemitteln der Selbsthilfe SeelenLaute Merzig-Wadern bezuschusst werden.

"Sur l´ Adamant" (2022, Grandfilm) ist auch der Name eines Dokumentarfilms von Nicolas Philibert (geb. 1951), der damit auf der Berlinale 2023 den Goldenen Bären gewonnen hat. Bei der Preisverleihung nannte der Regisseur als Gründe für sein Filmthema: Die Psychiatrie drohe zu entmenschlichen und die Politik lasse Betroffene im Stich, „als ob wir die ,Verrückten’ nicht mehr sehen wollten“. ‚Adamant‘ lässt sich mit ‚Unnachgiebige‘ übersetzen. Mit der Unterzeile „Ein utopischer Ort der Menschlichkeit mitten in Paris“, beobachtet und beschreibt der Streifen eine seltene Anlaufstätte zu Wasser, als temporäres Zuhause für Menschen mit psychischen Leiden. Mitbestimmung, Miteinander und Kreativität sollen weiterhelfen. Das Projekt assoziiert Prinzipien von Arche Noah wie Freibeuterschiff. Nach dem erfolgreichen
Start in Frankreich, ist der prämierte Film, für den Philibert auch Patient*innen und Personal der Adamant-Tagesklinik als Protagonisten gewinnen konnte, im September 2023 in die deutschen Kinos gekommen, mit deutschsprachigen Untertiteln als „Auf der Adamant“. Der Berliner Tagesspiegel rezensierte: „Man könnte Philiberts Protagonisten stundenlang zuhören. Die Patienten sind hier Subjekte, keine Problemfälle.“ Bewusst wird nicht kommentiert.

Im Presseinterview von Grandfilm (vgl. Presseheft 2023) meint der Regisseur weiter zu seinem Engagement: „Ich habe vor gut fünfzehn Jahren zum ersten Mal von der Adamant gehört, als es sich noch um ein Projekt handelte. Damals war die klinische Psychologin und Psychoanalytikerin Linda de Zitter … in das aufregende Abenteuer der Entstehung der Adamant involviert: Monatelang trafen sich Patient*innen und Betreuer*innen mit einem Architektenteam, um die wichtigsten Elemente zu definieren. Und was als utopischer Traum begann, wurde schließlich Wirklichkeit. Jahre später … hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, die Adamant zu besuchen … Ich habe die Psychiatrie immer sehr aufmerksam verfolgt und mich sehr dafür interessiert. Es ist eine Welt, die sowohl beunruhigend als auch ... sehr anregend ist, da sie uns ständig dazu zwingt, über uns selbst, unsere Grenzen, unsere Fehler und die Art und Weise, wie die Welt funktioniert, nachzudenken.

Die Psychiatrie ist eine Lupe, ein Nachrichten vergrößernder Spiegel, der viel über unsere Menschlichkeit aussagt … Darüber hinaus hat sich die Situation der öffentlichen Psychiatrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren erheblich verschlechtert: Budgetkürzungen, … überforderte Pfleger*innen, die oft auf die Rolle von Wärter*innen reduziert werden, die Rückkehr zu Isolationszimmern und Zwangsmaßnahmen. Dieser Niedergang war zweifellos eine zusätzliche Motivation. Es hat nie ein goldenes Zeitalter gegeben, aber von allen Seiten hört man, dass die Psychiatrie am Ende ihrer Kräfte ist … Über sie wird nur noch durch das Prisma ihrer Gefährlichkeit gesprochen, die zumeist herbeiphantasiert wird. Die sicherheitsorientierte Rhetorik eines großen Teils der politischen Klasse und einer bestimmten Presse, die einige isolierte Vorfälle schamlos ausschlachten, hat damit offensichtlich zu tun. In diesem Kontext erscheint ein Ort wie die Adamant wie ein kleines Wunder.“


© Text & Foto für Art-Transmitter: Gangolf Peitz, Dez. 2023 und Okt. 2024
www.archdaily.com/934267/adamant-hospital-seine-design
 
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